Das 2001 in Kraft getretene SGB IX hat sich die Aufgabe gestellt, die
Selbstbestimmung, die gleichberechtigte
Teilhaber am Leben der Gesellschaft zu fördern sowie Benachteiligung zu vermeiden
oder dem entgegen zu wirken.
Aber auch hier ist – wie in vielen Rechtsgebieten – eine genaue Kenntnis der Materie
von Vorteil.
In den nachfolgenden Ausführungen sollen nur grob die Grundsätze dargestellt
werden, die im
Schwerbehindertenrecht gelten.
1. Antragstellung bei der zuständigen Behörde
Zunächst muss ein Antrag des Betroffenen zum Vorliegen einer Behinderung bzw.
zum Grad der Behinderung
gestellt werden. Eine besondere Schriftform ist zwar nicht erforderlich, die
Versorgungsämter übersenden
regelmäßig entsprechende Antragsformulare, die dann auszufüllen sind.
Obwohl auch ein Arbeitgeber ein Interesse an der Feststellung einer
Schwerbehinderung für sein Arbeitnehmer
haben, hat der Gesetzgeber dem Arbeitgeber weder ein Antrag noch ein
Widerspruchsrecht eingeräumt. Das
Antragsrecht liegt allein beim Betroffenen.
2. Verwaltungsverfahren
Nachdem der Betroffene ein Antrag gestellt hat, schließt sich das
Verwaltungsverfahren an. Dabei besorgen sich die
Versorgungsämter zur Aufklärung des Sachverhalts die Befundunterlagen der
behandelnden Ärzte sowie der angelegenen Kliniken sowie die Entlassungsberichte
von Rehabilitationsmaßnahmen. Diese werden dann dem ärztlichen Dienst zur
Auswertung vorgelegt.
Nach einer Auswertung der eingeholten Unterlagen gibt dann der ärztliche Dienst
eine gutachterliche Stellungnahme ab und es folgt ein Feststellungsbescheid.
Der Feststellungsanspruch setzt ein Feststellungsinteresse voraus. Dabei ist zu
beachten, dass auch ein Kläger im Rahmen eines Feststellungsantrages die
Erhöhung eines formellen festegestellten Grad der Behinderung von 60 auf 70
begehrt, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ebenfalls ein
Rechtsschutzbedürfnis hat. Damals hatte die Vorinstanz das Rechtsschutzinteresse
noch mit der Begründung verneint, dass für den Kläger ein von 60 auf 70 erhöhter
Grad der Behinderung zweck- und nutzlos sei und für ihn kein Sinn oder
Verwendungszweck hätte. Das Bundessozialgericht hatte hierzu ausgeführt.
„... Im allgemeinen fehlt es an Rechtsschutzbedürfnis nur, wenn eine Klage für den
Kläger offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann...
nach dem System des Schwerbehindertenrechts hat jeder Mensch Anspruch auf
Feststellung des maßgeblichen Grad der Behinderung unabhängig davon, ob sich
seine gegenwärtige rechtliche oder wirtschaftliche Situation dadurch unmittelbar
verbessert“.
Neufeststellungsantrag / Verschlimmerungsantrag
Da sich der Gesundheitszustand und damit die Funktionsbeeinträchtigungen im
Laufe der Zeit ändern können, besteht jeder Zeit die Möglichkeit, ein
Neufeststellungsantrag zu stellen. Die Neufeststellung des Grades der Behinderung
kommt dann in Betracht, wenn eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Im
Vergleich zum letzten Bescheid muss es ihn also wesentlich schlechter gehen, die
Funktionsbeeinträchtigungen müssen sich verschlimmert haben.
Widerspruchsverfahren/Klageverfahren
Gegen den Bescheid können Sie Widerspruch binnen eines Monats ab Zugang des
Bescheides erheben. Danach entscheidet die Behörde durch ein
Widerspruchsbescheid.
Gegen den Widerspruchsbescheid können Sie innerhalb eines Monats vor dem
Sozialgericht klagen.
Bei Klagen im Schwerbehindertenrecht ist der Vortrag zu den
Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich.
Nach dem sozialen Behinderungsbegriff ist für eine Behinderung erforderlich, dass
aus einem Gesundheitsschaden eine funktionelle Beeinträchtigung resultiert, die sich
in einem oder mehreren Lebensbereichen auswirken muss. Behindert ist dabei
derjenige, dessen Zustand insoweit vom alterstypischen Zustand negativ abweicht.
Dabei wird unterschieden zwischen einer körperlichen, einer geistigen und einer
seelischen Behinderung.
Problematisch ist, dass seelische Behinderungen nicht messbar und sind. Diese
Klagen benötigen eine sehr genaue Begründung. Als seelische Störungen kommen
zum Bespiel in Betracht:
Körperlich nicht begründbare Psychosen, wenn sie nicht zur geistigen Schwäche
führen, die seelische Störungen als Folge von Krankheiten oder Verletzung des
Gehirns von Anfallsleiden oder von anderen Krankheiten oder körperlichen
Beeinträchtigungen, Suchtkrankheiten, Neurosen und Persönlichkeitsstörungen.
Auch körperliche und psychosomatische Störungen können zusammenwirken.
Gleichstellungsantrag
Behinderte Menschen können schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden,
wenn ein Grad der Behinderung weniger als 50, aber mindestens 30 vorliegt und die
weiteren Voraussetzungen gegeben sind. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 SGB
IX liegen vor, wenn der behinderte Mensch in Folge seiner Behinderung ohne die
Gleichstellung ein geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder behalten kann. Auch
die Gleichstellung erfolgt nur auf Antrag.
Auch ein arbeitsloser Behinderter hat Anspruch auf die Feststellung. Es kommt
weder darauf an, dass er ein Arbeitsplatz innerhalb hat, noch darauf ob er ein
konkretes Arbeitsangebot vorlegen kann. Nach der Rechtssprechung des
Bundessozialgerichts ist vielmehr zu prüfen, ob der Betroffene in Folge seiner
Behinderung bei wertender Betrachtungsweise in seiner Wettbewerbsfähigkeit
gegenüber einem nicht behinderten in besonderer Weise beeinträchtig ist und
deshalb nur schwer zu vermitteln ist.
Grad der Behinderung
Der Grad der Behinderung wird nach dem versorgungsmedizinischen Grundsätzen
eingeordnet. Liegen mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, so ist aus den
Einzelbehinderungsgraden ein Gesamtgrad der Behinderung nach den
Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung
ihrer wechselseitigen Beziehungen zu bilden.
Gesundheitliche Merkmale/Nachteilsausgleiche
Des Weiteren stehen die Betroffenen unter bestimmten Voraussetzungen bestimmte
Merkzeichen zu. Hierzu im Einzelnen:
1. Merkzeichen „G“
Des Merkzeichen „G“ stehen schwerbehinderten Menschen zu, wenn sie hilflos oder
gehörlos oder in der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt
sind.
Diese Voraussetzungen müssen genau geprüft werden.
2. Merkzeichen „aG“
Wenn der schwerbehinderte Mensch außergewöhnlich gehbehindert ist, ist der
Nachteilsausgleich „aG“ zu gewähren. Dieses Merkzeichen ist Voraussetzung für die
Gewährung von Parkerleichterungen, wie Parken im eingeschränkten Halteverbot
und an den mit Rollstuhlfahrersymbol gekennzeichneten Flächen, unfälliger
Befreiung von der Kfz-Steuer.
Die Notwendigkeit einer ständigen Begleitung „B“ ist die Voraussetzung für die
kostenlose Beförderung einer Begleitperson im Nah- und Fernverkehr. Die
Feststellung des Merkzeichens „B“ ist eine Schwerbehinderteneigenschaft mit den
anerkannten Merkzeichen „G“ „H“ oder „GL“ gebunden.
4. Merkzeichen „H“
Wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33 b des
Einkommenssteuergesetzes oder entsprechender Vorschriften ist, ist das
Merkzeichen „H“ in den Schwerbehindertenausweis einzutragen. Hilflos sind
diejenigen, die in Folge von Gesundheitsstörungen, nach dem SGB IX und dem
Einkommenssteuergesetz nicht nur vorübergehen, für eine Reihe von häufig und
regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen
Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedürfen. Dabei stellen
die versorgungsmedizinische Grundsätze ausdrücklich klar, dass Überwachung,
Anleitung und auch ständige Bereitschaft zur Hilfestellung der Übernahme
gleichzustellen sind.
5. Merkzeichen „RF“
Soweit der schwerbehinderte Mensch die landesrechtlich festgelegten
gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der
Rundfunkgebührenpflicht erfüllt, ist der Schwerbehindertenausweis mit dem
Merkzeichen „RF“ zu kennzeichnen.
6. Merkzeichen „BL“
Blinde haben ein Anspruch auf steuerliche Ausgleiche gemäß § 33 b Abs. 3
Einkommenssteuergesetz, Befreiung von der Kfz-Steuer und weitere
Nachteilsausgleiche, wie etwa einen Führerhund, Pflegezulage usw..
7. Merkzeichen „GL“
gehörlos im Sinne von § 145 SBG IX sind schwerbehinderte, bei denen ein
vollständiger Hörverlust auf beiden Ohren besteht. Benutzung der ersten
Wagenklasse Merzeichen „Erste Klasse.“
Der Nachteilsausgleich erster Klasse kommt für Schwerstkriegsbeschädigte und
verfolgt im Sinne des Bundesentschädigungsgesetz mit einer MdE um mindestens
70 % in Betracht. Der Nachteilsausgleich berechtigt den Schwerbehinderten zur
Benutzung der ersten Wagenklasse mit einem Fahrausweis der zweiten
Wagenklasse.
Bitte beachten Sie, dass die Bearbeitung eines Antrags, Feststellungs-,
Widerspruchs- oder gerichtliche Verfahrens auf diesem Gebiet fundierte Kenntnisse
des Sozialrechts voraussetzen. Gerade im Schwerbehindertenrecht sind auch
Kenntnisse auf dem medizinischen Gebiet Voraussetzung. Daraus folgt, dass das
Schwerbehindertenrecht eine sehr komplizierte Materie ist, die mit großer Sorgfalt
bearbeitet werden muss.
Die Landesämter stellen seit einiger Zeit bereits einen Anstieg der Anträge auf
Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft bzw. Verschlimmerungsanträge fest.
Die Anzahl der Feststellungsverfahren ist steigend. Weiterhin ist das
Schwerbehindertenrecht auch mit einer Vielzahl anderer Rechtsgebiete verknüpft, so
zum Beispiel mit dem Arbeitsrecht, Steuerrecht, Rentenrecht,
Krankenversicherungsrecht und vor allem Medizinrecht. Diese Aufzählung ist
natürlich nicht abschließend, soll Ihnen lediglich verdeutlichen, dass es sich um eine
rechtlich sehr komplizierte Materie handelt, die von juristischen Laien nur schwer zu
bewältigen ist.
Fachanwältin für Sozialrecht